Werkstatt Schwarz „Zu spät“ dachte sie, „hätte ich bloß meine Schuhe ausgezogen, dann hätte ich abhauen können.“ Aber sie war zu müde zur Flucht, wollte nur noch eins: Barfuss. In Ruhe endlich wieder Boden unter sich spüren. Wortlos stieg sie weiter nach oben, drückte sie sich auf dem schmalen Treppenabsatz an ihm vorbei. Ihr Haar streifte die Mauer, in ihren Ohren rauschte es. „Bon soir mademoiselle, comment allez vous ce soir? Avez vous passez un bon journee ...?“ „Ob er jemals begreift, dass ich kein Französisch spreche“ knurrte sie still in sich hinein, „nicht sprechen kann, nicht sprechen will und nicht sprechen werde.“ Dabei wühlte sie den mit einem Tigerzahn bestückten Schlüsselanhänger aus der Handtasche, schloss zweimal auf und gleitete lautlos in ihr Königinenreich. Das Flurlicht erweckte die erdigen Farben zum Leben, es roch nach Sandelholz und Limonen. „Hier habe ich jetzt endlich das sagen“ dachte sie bei sich, wie so oft, wenn sie erschöpft nach Hause kam, obwohl schon lange niemand mehr bei ihr war. Sie rückte das vergilbte Foto ihres Vaters gerade, das schief neben der Gardarobe hing. Irgendwie begrüßte er sie doch immer noch still jeden Abend. „Groß war Vater, und stolz. Aber wann war er je interessiert, mir zuzuhören“ fragte sie sich, als sie an früher dachte. Damals, als sie noch alle zusammen in der Rue Rivoli in Kinshasa lebten. Sie dachte an ihren ersten Mann. Er stand ihm in nichts nach, schwarz wie die Nacht war auch er. „Aber Ron war weiß“ lächelte sie innerlich, als sie an ihren zweiten Mann dachte. „Er sprach mit mir. Aber nicht in meiner Sprache. Und hörte mir auch nicht zu“ waren die Gedanken, die ihr Lächeln vertrieben. Lange hat es gedauert, bis sie sich von den singenden Klängen ihrer Heimat an Rons dunkel röchelndes Brüssler Niederländisch gewöhnt hatte. Noch mehr Zeit verstrich, bis sich ihr Gaumen endlich traute, diese Laute auch nachzuahmen. Ron lachte, sprach aber immer noch nicht mit ihr, selbst als sie von den schillernden Farben ihrer Heimat und dem Wundern der Regenzeit in seiner Sprache erzählen konnte. Niemand schien sich dafür zu interessieren, auch die Nachbarn in der Hoogestraat trauten sich nicht, sie anzusprechen. Selbst jetzt nicht, wo Ron schon Monate weg war und kein Mann sie mehr auf der Straße an sich drückte. „Meine Hautfarbe macht ihnen Angst“ dachte sie, „aber ich möchte doch auch nur reden, auch wenn meine Sprache schwarz ist. Vielleicht, ja vielleicht, wenn er anders wäre als Ron und die Männer vorher, würde ich ihm meine Sprache zeigen, mit den Fingern könnte er sie in meinen Haaren spüren, mit seinem Lippen auf meiner dunklen Haut lesen. Ja, er würde zuhören. Sie schloss das Fenster, um die Kälte des Regens auszusperren, schob ihre Schuhe unter das Sofa und ließ sich hineinfallen. Barfuss fühlte sie sich besser, obwohl sie alleine in der Wohnung das Gefühl nicht los wurde, Schuhe zu tragen, die ihr zu klein waren. von sturmfisch | 28.03.05, 19:37 | link me | - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Werkstatt Wie in guten so auch schlechten Zeiten Hätte jemand an diesem Nachmittag seine Hand gehalten, wäre er sofort aufgeflogen. „Ich bin beim Steuerberater “ rief er nicht laut, nicht leise in das zu eng gewordene Großraumbüro hinein. Seine Finger fühlten sich dabei kalt und schwammig an. Robert konnte nicht lügen. Niemand sagte ein Wort, natürlich nicht, schließlich war er der Chef. Jedenfalls beinahe. Die wahre Autorität hinter allem blieb der Firmengründer. Ein charismatischer, nicht alternder weißhaariger Lenker, ein Naturtalent, wie ihn die lokal Wirtschaftzeitung in einer ihrer letzten Ausgabe bezeichnete. Die Neue Berliner Porzellanmanufaktur florierte. Spielend schaffte er es, sie alle immer wieder mit seinem magischen Blick zu verzaubern: Kunden, Lieferanten, Banken, Mitarbeiter. Und in der letzten Zeit auch die Öffentlichkeit. Sie liebten ihn dafür. Robert liebte ihn nicht, er war sein Schwiegervater. Vor Jahren, als er um die Hand der einzigen Tochter anhielt, musste er ihm das Versprechen, „unter uns Männern“ geben, auf sie aufzupassen und sich um sie zu kümmern. Dabei kümmerte sie sich um ihn, stellte er in der letzten Zeit mehr und mehr fest. Nie hätte er gedacht, dass sein „wie in guten so auch schlechten Zeiten“-Versprechen einmal eine ganz andere Bedeutung haben würde. Denn es gab sie nicht, weder die guten noch die schlechte Zeiten. Es gab nur ihre Zeit, die wie ein Schweizer Uhrwerk funktionierte. Zwei gerade Zeiger, die zuverlässig auf vorgegebenen Bahnen gleichmäßig rund zirkulierten. Alles vorhersehbar und alles zu seiner Zeit. Auch 6 Uhr. In regelmäßigen Abständen näherten sich beide Zeiger einander an. Genau eine halbe Stunde zuvor lagen sie übereinander. Der kleine auf dem großen. Immer. Und die Krawatten kauft auch sie, immer noch, dachte Robert und erinnerte sich mit einer gewissen Gleichgültigkeit, wie sie ihm seine erste schenkte. Damals, nach der ersten gemeinsamen heimlichen Nacht, dem ersten Mal. Jetzt hängt sein Schrank voll mit ihnen. Wie oft hatten sich die Zeiger seitdem wohl gedreht? Robert war auf dem Weg, als ihn die Angst überfiel, seine innere Uhr, sein Gleichgewicht, seine Ruhe zu verlieren, oder gar nie mehr loszuwerden. Er wußte es nicht genau. Auch das erste Mal. Wenn er mit Sarah zusammen war, spielte Zeit keine Rolle. Ihre Umarmungen zeigten, dass es nicht auf die Uhrzeit ankommt, ihre Küsse befähigten ihm, Zeit zu nutzen, und ihre Leidenschaft erfüllte seine Stunden, auch wenn sie nicht beieinander waren. Mit ihr begannen die Zeiger zu tanzen und lagen auch um viertel vor neun oder zehn vor zehn übereinander. Und bleiben stehen, solange sie wollten. Er fühlte sich mit Sarah in der Mitte verbunden, alles dreht sich um sie. Eine richtige Uhr eben, und nicht nur zwei Zeiger in einem glatt polierten goldenen Gehäuse. Jedenfalls immer dann, wenn er sich davonschleichen konnte, oder von ihr träumte. Zum zehntausendsten Mal schaute sie auf die Uhr. Sarah steckte die Hand in die Hosentasche „sonst tut mir der Arm noch weh“ dachte sie, und spürte dabei einen altbekannten Schmerz in ihr Innerstes kriechen. Dorthin, wo über Jahre eine schützenden Schicht am Herzen gewachsen ist. Nie wieder wollte sie auf einen Mann warten, nie wieder! Oder? Sie zweifelte, wie sie sich im kalten Schatten der Weide eingestand. Der Gedanke an ihn hatte sie heute im Morgenlicht erregt, obwohl es noch Stunden dauerte werden würde, bevor sie sich wiedersähen. Endlich einmal im Park, auf der Strasse, im Café. Sie wollte viel mehr von ihm als die heimlichen Treffen, im Hotel oder später dann bei ihr. Verheiratete Männer sind schwierig, und ganz besonders Robert, dass fand sie schnell heraus. Bald konnte sie ihn lesen wie ein offenes Buch, und was sie dort fand, bewegte sie. Sein schüchterner Blick am Anfang, so als ob er selbst nicht glaubte, was geschah, seine Unerfahrenheit und irgendwann seine Hoffnungslosigkeit, als er sich traute, auch seine versteckten Kapitel aufzuschlagen. Die Bäume im Park hatte sie jetzt schon zweimal gezählt, und in Gedanken riß sie ihnen nun die Äste ab. Wo bleibt er nur? Robert war ein schwacher Mann. „Wenn ich ihm wichtig wäre, würde er pünktlich sein“ fluchte die Wut in sie hinein, „vielleicht ist ihm etwas passiert“ flüsterte die Sehnsucht aus ihr heraus. Sie stampfte auf den Boden, „Scheisse“ rief sie und errötete, als die anderen Parkbesucher sie anschauen. Robert kam ins schwitzen. Wie lange wird sie auf mich warten? Er beeilte sich, den Park zu durchqueren. Warum wollte sie sich unbedingt hier mit ihm treffen? Ein Lächeln schlich über sein Gesicht, als er an ihre letzte Begegnung dachte, wie ihre schlanken Finger seine Lippen sanft mit Zärtlichkeit bestrichen. Wie ihm ihre Nähe die Luft nahm, immer näher, immer atemloser. Beide. Wie sie mit seinen Haaren spielte, deren Geheimratsecken sie so intellektuell fand. Sie würde ihm bestimmt kein therapeutisches Haartonikum bei einer Kosmetikerin bestellen. Auch Krawatten kaufte sie keine. Im Gegenteil. Er genoss die gemeinsame Nacktheit und schämte sich seines Bauchansatzes nicht. Er musste lachen, als Sarah ihn dort das erste Mal küsste. Robert wartete darauf, von seiner Frau im Fitnissclub angemeldet zu werden. Den neuen Frotteemantel dazu hatte er im wohlorganisierten Badezimmer schon erspäht. Bei Sarah herrschte das Chaos im Bad. Aber es duftete nach ihr. Wieder fühlte er ihre Haare auf der Haut, aber diesmal war es der Winterwind, der ihn umwehte. Plötzlich schrie Beethovens Fünfte „da da da daaaaa“ aus seiner Jackentasche. Die Melodie fror seine Bewegung ein, wie angewurzelt blieb er im Park stehen. Bescheuerter Klingelton. Aber sein Schwiegervater fand gerade dies an dem Gerät besonders lustig, als er es ihm zu Weihnachten schenkte. SMS von GLORIA, seiner Frau. „Papps sucht dich. Wo steckst du?“. „Was soll’s“, flüsterte Sarah leiser vor sich hin, und wählte Roberts Handynummer, obwohl er ihr das nur für absolute Notfälle zugestand, seiner Frau wegen. Aber er musste ja schon unterwegs sein – hoffentlich. Vier Mal klingelte es, und dann beginnen die abgerissenen Äste zu blühen. »Hallo. « »Robert? « »Ja, ja, ich bin es. Du, ich kann leider doch nicht kommen, ich muss ganz dringend sofort zum Steuerberater. Ich melde mich später, ok? « »Schade.« »Ja, ja, bis dann. « Die erblühten Äste verdorrten in ihr. Auf der Parkbank kauerte sie sich zusammen, rang krampfend nach Luft. „Irgendwas läuft hier falsch“ überlegte sich Robert zum wer weiß wievielten Mal. Fast konnte er „Papps“ schon reden hören und sah doch immer wieder Sarah nackt vor sich. Nur auf der Parkbank erkannte er sie nicht, gehetzt und auf dem Rückweg. Wenig später wartete er auf das „Herein“, nachdem er an der Tür zum Schwiegervaters geklopft hatte. Wie immer war der Raum von klarem Licht durchdrungen, aufgeräumt. Bauhaus. Schlichte Eleganz und Kraft. Es roch nach Tee. Und Ärger. „Da bist du ja!“. Am kleinen verchromten Besprechungstisch trank sein Schwiegervater Tee mit Dr. Seibold. Dem Steuerberater. von sturmfisch | 16.12.03, 22:17 | link me | - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Werkstatt Mein Zoo Der Frosch Es küsste der Frosch die Fee tat keinem wirklich weh niemand sagt ein Wort waren beide gleich dann fort Die Mücke Es fand die Mücke sogleich ne gute Lücke überrollte den Waldi nahe bei Aldi Der Drache Es brennt dem Drachen sein Rachen kommt vom vielen Feuer armes Ungeheuer Die Ameise Es krabbelt die A-meise ganz kizzlig so auf ihre Weise hinauf am schlanken Bein aaah, sooo muss es sein. Das Nilpferd Es ging spazieren ein Pferd vom Nil entlang dem Ufer in Kiel die Schiffe liegen am Pier hab Durst, geh auf ein Bier Der Nasenbär Der Nasenbär der hat es schwer, hat so ne große Nase und nur ne kleine Blase Die Kellerassel Es flog die Kellerassel mit dröhnendem Gerassel morgens früh die Kellertreppe hinunter war wohl doch noch nicht ganz munter Der Elefant Dem Elefant war es bekannt er hat die größten Ohren kann aber in der Nase nicht bohren von sturmfisch | 06.11.03, 19:25 | link me | - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - |
sturmfischs welt
was ich gerade pic of the month online for 8227 Days last updated: 16.10.10, 11:54 undefined Youre not logged in ... Login
latest CD [prev]
recent updates
some music http://www.mixwit.com/widgets/fd26d8e310f5bd66ade4717f70465551
by sturmfisch (24.03.08, 23:49)
Die Nacht "Die Nacht ist
still, und ihrer Stille verbergen sich die Träume." K. Gilbran
by sturmfisch (17.01.07, 21:57)
Dr. Gabriele Pauli
Durchsucht man Google nach Fotos der "Schönen Landrätin", findet man das beste...
by sturmfisch (14.01.07, 11:23)
Was ich gerade ... lese
[2007] [2006] Richard Powers: Der Klang der Zeit Adam Hochschild:...
by sturmfisch (09.01.07, 11:48)
Babel einer der besten Filme,
die ich seit langem im Kino gesehen habe. http://www.paramountvantage.com/babel/
by sturmfisch (14.12.06, 12:37)
Zeiten ohne Autobahnen Die Haare
fielen ihr ins Gesicht. „Verdammt“, fluchte sie, „warum habe ich...
by sturmfisch (18.09.06, 15:25)
Mary lächelte, als mache es
ihr überhaupt nichts aus, auf einem fast verlassenen Boot...
by sturmfisch (13.09.06, 17:06)
Max Mara »Magst du italienische
Mode? « »Klar « »Du Figur hast du ja dafür....
by sturmfisch (18.08.06, 10:42)
|