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was aus mir kommt

Zeiten ohne Autobahnen



Die Haare fielen ihr ins Gesicht. „Verdammt“, fluchte sie, „warum habe ich mir bloß keinen Zopf gemacht?“. Aber es war zu spät, für den Moment jedenfalls. Ihre unlackierten Finger, Hände und Unterarme waren mit dem klebrigen Öl verschmiert, das seit Jahrzehnten im Getriebe des Peugot 403 Cabriolets immer ranziger wurde. Sicher war es älter als sie mit ihren 35 Jahren. Kaja schüttelte sich die Haare aus dem Gesicht und dann nach hinten. Wie eine Löwin. Bei dem Gedanken musste sie grinsen.

Den Wagen fand sie im Frühsommer in der Scheune eines scheinbar verlassenen Bauernhofs in den Vogesen. Der Besitzer, ein dürrer, grauhaariger Mann schenkte ihn ihr, also sie ihn fragte, ob er ihn verkaufen würde. „Nein, ich verkaufe das Auto meiner Frau nicht“, antwortete er mit seinen alten, blauen Augen, als ob er seit Jahren in das Dorfcafé ging, nur um diese Frage zu beantworten. „Ich kann es nur verschenken, glaube ich. Sie haben eine traurig-freundliche Stimme“. Er reichte ihr die Hand „und warme Hände. Nehmen sie es bitte mit“.

Jetzt schwebte das Chassis des Wagens unter der Decke der Werkstatt, der Rest stand seit Monaten aufgebockt und gesichert vor ihr. Früher wurden hier Geländewagen der Air-Force gewartet, aber seit die Amerikaner ihre Militärbasis am Flughafen verlassen hatten, stand die lichte Halle leer. Die Gegend verwaiste, die Hotels schlossen und in den Bars vermisste man die kartoffelige Sprache der Texaner und Gespräche über Baseball. Der Vermieter überließ Kaja die Werkstatt gerne. Er konnte sich die feingliedrige Zugezogene mit Schraubenschlüssel und Overall anfangs nicht vorstellen. Nur Strom und das Gas für die Heizbrenner musste sie bezahlen. Ab und an kam er sie jetzt wieder am Wochenende in der Werkstatt besuchen, brachte eine Thermoskanne Kaffee mit. So wie sie ihn mochte. „Stark muss er sein“ bejahte sie seine Frage, als er damals, kurz nach ihrem Einzug, fragte, ob er ihr einen Kaffee bringen dürfe.

Zum Glück konnte man die Karosserie in einem entfernen, sonst hätte sie sich unter den Wagen legen müssen, um das Getriebe auszubauen. Als diese Wagen noch gebaut wurden, war es sicher umständlich, bei jeder Wartung das Gehäuse abzunehmen. Heute war sie froh darüber. Unter dem Auto liegen ist gefährlich, fand sie, schließlich arbeitete sie hier allein. Wie üblich hatte sie ihr Handy nicht bei sich. Es störte sie in jeder Tasche des Jeans-Hosenanzuges, den sie in der Werkstatt immer noch trug, obwohl er wie ein nasser Lappen an ihr herunterhing. Sie musste auf ihr Gewicht achten, um nicht noch mehr abzunehmen. „Nur noch diese Muttern, dann hab ich es“. Der Kran war bereit, die Schaltung aus dem Getriebekasten zu heben und auf den Arbeitstisch zu manövrieren. Es würde Wochen der Reinigung und Feinjustierung brauchen, bis sich die Gänge wie neu einlegen würden. Und modernes Hochleistungsöl. Sie hatte Prospekte und Montageanleitungen von 1964 im Internet gefunden und sie an die Backsteinwand hinter dem Arbeitstisch geklebt.

Als sie den Wagen das erste Mal sah, war es, als würde sie aus einem Traum, einer unendlichen Nacht erwachen. Voller Staub, grau und matt was das Auto. Unsichtbar zwischen dem Gerümpel des Stalls schien er ihr in ihrem Unterschlupf durch das Prasseln der Regenflut hindurch zu zurufen. Als sie ihn berührte, hinterließen ihre Finger Spuren, Abdrücke ihrer Hand auf dem Kotflügel, als hätte sie es beruhigen wollen. Wie ein Pferd, „nur ruhig, gleich ist es vorbei“. Der Wolkenbruch hatte sie frühmorgens überrascht, sie war zu Fuß durch Frankreich unterwegs. Seit wann, konnte sie nicht genau sagen. Der Wagen hatte nicht eine Beule, selbst die Scheinwerfergläser und das stoffartige Verdeck waren unversehrt, die Türen verschlossen. Sie spürte, dass das schon sehr lange so war. Später im Dorfcafé fragte sie den Wirt nach dem Besitzers der Hofes auf dem Hügel über dem Ort. „Monsieur Le Croix“. In dieser Gegend wurde nicht viel gesprochen, vielleicht war sie deshalb hier gelandet. „Der sitzt übrigens dort drüben, vor dem großen Fenster mit seinem Glas Rotwein“. Trinken, so früh? Sie dachte, es sei noch Morgen.

Nicht das erste Auto, das Kaja von Grund auf wiederherstellte. Es dauerte Monate, bis alles so war, wie sie es sich vorstellte, ihr Anspruch an Komfort, sowohl in technischer als auch ästhetischer Hinsicht befriedigt war. Dieser Wagen würde seine Elfenbeinfarbe wieder gewinnen, die Ledersitze wieder glänzen. "Coq de Roche" wurde die Farbe in dem Prospekt benannt. Wenn sie die Worte vor sich her sagte, glaubte sie das Meer zu hören, sah alles bereits vor sich. Reinigen und polieren würde sie müssen. Und die Gänge würden besser schalten als bei seiner Jungfernfahrt. Aber das würde dauern. Schließlich konnte sie nur zwei Nachmittage pro Woche und gelegentliche Wochenenden daran arbeiten. Mehr gab ihre Stelle als Psychologin in der Klinik nicht her. Aber sie brauchte diesen Ausgleich, das Gefühl, etwas repariert zu haben, was danach nicht nur funktionierte, sondern auf den Straßen bewundert werden würde. Gerne hätte sie dies auch bei ihren Patienten vollbracht, aber wenn sie die Klinik verließen, sah sie sie nur selten wieder. Und wenn doch, dann meistens, wenn sie sich wieder eingewiesen hatten. Oder eingewiesen wurden. Kein bewunderter Erfolg also. „Ob ich vielleicht nur noch Autos reparieren sollte?“, fragte sie sich dann, aber wenn die Moten sich das erste Mal wieder drehten, gleichmäßig und zufrieden summten, ihre Hände auf glatten, stabilen altem Blech lagen, fand sie ihre Liebe zu den Menschen immer wieder, ihre Aufgabe. Wie Fahrtwind bei offenem Verdeck war das dann.

„Ein Auto, das nur steht, macht keinen Sinn“, dachte sie einmal. Auf ihr letztes restauriertes war sie besonders stolz, ebenfalls ein französisches, nicht ganz so alt aber schwarz, mit geschlossenem Verdeck. Ihr Mann liebte es, damit zur Arbeit zu fahren, aber mehr noch, nach seinem Tagewerk damit zu ihr zurück zu kehren. Der Vermieter grüßte freundlich, wenn sie sich sahen. Den Werkstattkaffee brachte nun ihr Mann. Bis er an einem Spätwintermorgen eine Kurve und seine Geschwindigkeit unterschätze. Es regnete. „Der Fahrer war sofort tot“, stand es später in der Zeitung. Sofort tot - so fühlte Kaja sich auch, als die beiden Polizisten ihr die zwei Sätze im Besucherzimmer der Klinik vorsprachen. Vielleicht vernichten Autos ja jeden Sinn.

Monsieur Le Croix erzählte von seiner Frau. Wie sie eines Tages nach dem Frühstück alles Geld, das sie über den Krieg hinüber gerettet hatte, in ihre Handtasche packte, ihn küsste. „Ich fahre nach Paris und kaufe uns ein Auto“. Als sie seinen Blick sah, ungläubig, als hätte sie einen Witz erzählt, den keiner verstand, ergänzte sie „Man muss nach Paris fahren, um Autos zu kaufen. Paris, nur Paris. Wo sonst. So wie Hüte, Handschuhe oder Dessous. Aber davon hast Du ja dann nichts. Jedenfalls nicht richtig“. Seine Frau schmunzelte, umarmte und küsste ihn wieder, zog ihre Sonntagsstiefel an, klemmte die Handtasche unter den Arm und ging zum Dorf hinunter. In ihrem crémefarbenen Mantel sah er ihr den Weg durch die Wiesen am Waldrand nach. Die Sonne schien. „Ich liebe Dich“ rief er ihr hinterher. Sie blieb stehen, drehte sich um, legte die Handtasche auf den Boden, zog ihren Mantel aus, warf ihn in die Luft und schrie zurück. „Ich Dich auch“. Der Bus, der vor dem Gemeindeamt halten wird, würde sie zum Bahnhof nach Saint Dizier bringen. Drei Züge am Tag gingen von dort, durchquerten die Champagne und erreichten zweieinhalb Stunden später Paris Est.

Kaja betrachtete die Hände des Mannes. Fleckig waren sie, knochig, faltig. Als wäre ein ganzes Leben darin eingraviert. Eine Hand lag auf dem Tisch, als würde sie nicht dazugehören, die andere hielt das fast leere Weinglas umschlossen, als könnte es weg fliegen. „Meine Frau war die Liebe meines Lebens. Der Peugeot der einzige Wagen, das wie je hatten. Lucie brachte mir das Fahren bei. Aber seitdem sie nicht mehr bei mir ist, fahre ich nicht mehr. Wohin auch?“ „Mein Mann starb bei einem Autounfall“. Ihr wurde schwindlig, als würde sie über einer unendlichen Leere schweben. Sie spürte ihren Körper, tausend eiskalte Nadeln, als ob eine Betäubung nachließe. Es war das erste Mal, dass sie es aussprach, es einem Fremden sagte. Sie wusste nun, es würde lange dauern, sich in der neuen Zeit zurechtzufinden. „Ihre Stimme verrät viel.“ Sie weinte stumm, zitterte. Er stand auf, wühlte in seiner Hosentasche, nahm ihre Hand und legte zwei alte Autoschlüssel hinein. „Die habe ich immer bei mir. Jeden Tag. Sie sind so jung“. Kaja schluchzte. Mit beiden Händen hielt er ihre Faust mit den Schlüsseln darin umschlossen. „Wir sind im Herbst einmal bis nach Rom gefahren, die Küste entlang. In Italien war noch Spätsommer, es war warm dort.“ „Zeiten ohne Autobahnen waren das“ „Rom verändert sich nicht“

Wenn Kaja mit dem Auto fertig ist, wird sie mit ihrem Vermieter einen Nachmittag lang über die Straßen durch die nahen Weinberge fahren, vielleicht kurz anhalten, Kaffee trinken. Dann, wenn sich der Herbstregen festzusetzen versucht, die Strecke ihres Mannes nach fahren. Langsam. In entgegengesetzter Richtung. Ohne anzuhalten, immer weiter. Bis nach Rom.


 

    
 
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