Werkstatt Idole ohne Titelbilder Schließlich bin ich Fotograf geworden. Ein recht guter sogar, wenn man der Bank glauben darf. Auch der Agent meint das. Meist zeigt er dann gönnerhaft auf eines meiner Titelfotos. Als hätte er die Bilder gemacht. „Idole“ war das letzte , im Spiegel, das jetzt bei ihm gerahmt im Büro hängt, neben den anderen. Zuhause über meinem Schreibtisch gibt es auch eins, aber ohne Titelseite. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich dieses Foto genommen. Es zeigt Peter. Aber den kennt kaum jemand. Außer mir. Mit ihm fing es an, mein Fotografieren. Dreißig Jahre ist es her. Die Bundesrepublik Deutschland kaufte meinen Onkel aus der ehemaligen DDR frei. Er hatte einen Ausreiseantrag gestellt, schrieb uns in den Westen, bat seine Schwester, meine Mutter, um Hilfe von der anderen Seite des Eisernen Vorhangs. Er „verschwand“ nach ein paar Wochen, konnte erst wieder schreiben, als eine Menschenrechtsorganisation auf seinen „Fall“ aufmerksam wurde. Er hatte nicht viel in seinem Gepäck, als er in dem verdreckten Nachtzug aus Berlin/Ost in Bad Homburg ankam. Fast ein Jahr hatte es gedauert, bis es soweit war. Der Westen. Er war müde. Seine alte russische Kamera, ein Rollei Nachbau, wie er mir später erklärte, packte er als erstes aus und legte sie vorsichtig neben das provisorisches Bett. Er würde erst einmal bei uns unterkommen. Ob er sich an das neue Leben gewöhnt hatte, kann ich nicht sagen. Die Schwarzweiß-Fotos, die er hier vergrößerte, waren großformatig, kontrastreich und meist ohne Horizont. Seine alten Bilder, auch die aus Polen und Russland waren kleiner, wärmer, lebendiger. Er brachte mir alles bei. Das Fotografieren („schau einfach genau hin!“), die Filmentwicklung, das Vergrößern. Mit seiner russischen Kamera, die er mir schenkte, als er sich ein neues, westdeutsches Fabrikat kaufte, habe ich meine ersten Bilder gemacht, auch die ersten, die veröffentlicht wurden. Sicher hätte er sich darüber gefreut. Ob er heute wohl stolz auf mich wäre? Überlege oft, welche Bilder er wohl auswählen würde, diese Agenten haben vielleicht kommerzielles Gespür, aber keine Gefühl für die wirklich guten Aufnahmen. Er wollte nach West-Berlin, mit dem Zug. Und seiner neuen Fotoausrüstung. Auf einer Polizeistation meldete er, dass er verfolgt würde, bat um Hilfe. Zwei Stunden später war er tot, angeblich selbst vom Dach gesprungen. Vierzehnter Stock. Das Rückfahrticket hat man bei ihm gefunden, den Fotoapparat nicht. Beerdigung. Ein Loch in gefrorener Erde und Tränen, daran kann ich mich erinnern. Der Atem, den die wenigen Trauergäste gequält ausstießen, sah aus wie Weihrauch, der sich seinen Weg zu einem Gott suchte. Da stand eine Frau vor seinem Grab. Niemand kannte sie. Ihr war es sichtbar egal, was die anderen dachten, sie tat, was sonst keiner tat. Sie kniete kantig nieder. Keiner sprach sie an. Wäre ich ihr hinterhergelaufen und hätte „halt, warte einen Moment“ gerufen, laut, dann hätte ich von Peter erzählt. Aber sie war gegangen, bevor mir dieser Gedanke kam. Beerdigungen lähmen. Ich kann mich noch immer deutlich an ihren fremdar-tigen Blick erinnern, ihre großen Augen, die sich in Tränen aufzulösen drohten. Obwohl ich nur für einen Moment ihr porzellanhelles Gesicht sah, wusste ich, dass sie es auf dem Foto war, das sich in Peters bescheidenem Nachlass fand. Er hielt sie hochgehoben im Arm. Beide lächelten in die Kamera, als gäbe es keine. Verschwommene Landschaft mit geringer Tiefenschärfe. Der rechte Arm der Frau streckte sich weit nach oben, sie hielt ihre Hand, als wolle sie Peter vor dem Himmel schützen, um sie Momente später doch um seinen Hals zu legen, ihn an sich zu ziehen und zu küssen. Sicher ist die Aufnahme mit Selbstauslöser entstanden, irgendwo weit weg von allem, da, wo nur sie beide waren. von sturmfisch | 28.03.05, 19:41 |
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by sturmfisch (24.03.08, 23:49)
Die Nacht "Die Nacht ist
still, und ihrer Stille verbergen sich die Träume." K. Gilbran
by sturmfisch (17.01.07, 21:57)
Dr. Gabriele Pauli
Durchsucht man Google nach Fotos der "Schönen Landrätin", findet man das beste...
by sturmfisch (14.01.07, 11:23)
Was ich gerade ... lese
[2007] [2006] Richard Powers: Der Klang der Zeit Adam Hochschild:...
by sturmfisch (09.01.07, 11:48)
Babel einer der besten Filme,
die ich seit langem im Kino gesehen habe. http://www.paramountvantage.com/babel/
by sturmfisch (14.12.06, 12:37)
Zeiten ohne Autobahnen Die Haare
fielen ihr ins Gesicht. „Verdammt“, fluchte sie, „warum habe ich...
by sturmfisch (18.09.06, 15:25)
Mary lächelte, als mache es
ihr überhaupt nichts aus, auf einem fast verlassenen Boot...
by sturmfisch (13.09.06, 17:06)
Max Mara »Magst du italienische
Mode? « »Klar « »Du Figur hast du ja dafür....
by sturmfisch (18.08.06, 10:42)
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