sturmfisch
 
Dienstag, 3. Januar 2006

Werkstatt

GODESS



Rauch umschwebt die matte Beleuchtung, rosa Lampenschirme so kitschig wie dieser übersüßte Lifestylecocktail vor mir. Dabei mag ich dieses süße Zeug gar nicht, nicht richtig aufgepasst eben. „You don´t look like living here. Want to try our welcome drink?“ – „Why not ...“ Weitergehen? Ne, keine Lust, schon wieder umherzuirren. Woanders wird es sicher auch nicht besser sein. Fremde Städte eben, das Alltägliche so austauschbar wie überall. Nur man selbst bleibt immer gleich, egal in welchem Teil der Welt man sich gerade befindet. Dachte ich mit jedenfalls vorhin, als ich mich frisch gemacht habe. Krawatte ab, Jeans an. Terminkalender übervoll, den lächelnd im Zimmer gelassen. Brauch ich jetzt nicht. Selbst meinen Ausweis habe ich nicht dabei. Raus aus dem Hotel, raus aus dem Ganzen. Eine Kneipe finden, in der Nähe, so dass ich mich auf dem Rückweg nicht verlaufen kann. Einfach was trinken gehen. Nichts außergewöhnliches eben. So wie dieser Cocktail, den ich unberührt vor mir stehen lasse. Platzen könnte ich. Vor Wut. Mein Chef, dieser visionslose Erbsenzähler. Keine Ahnung hat er, und von Personalführung das einzige Mal wohl nur beim Einstellungsgespräch gehört. Despot. Und so was nennt sich Direktor. Ha! Zum Glück ist der nicht auch noch mitgekommen. Whisky will ich, wenn ich nachdenke. Das Reine, Pure, Scharfe in mir spüren, nichts vermilchtes, dekoriertes. Die Flüssigkeit unangestrengt in mich laufen lassen, passiv irgendwie, nicht durch einen grellen, gewundenen Halm gurgelnd durchziehen müssen. Mein Gesicht jetzt höchstens ermüdet, aber nicht auch noch lächerlich saugend vorzeigen müssen. Diesen geleckten Typ von eben bin ich endlich los, biedert sich bestimmt einem anderen Gast an. Was dozierte der noch mal? Aktienindizes? Weltpolitik? Glaubensfragen? An seine Augen kann ich mich nicht einmal mehr erinnern, so unbedeutend waren sie, transparent, ohne Inhalt, leer. NASDAQ, Jihad oder Papst? Interessante Themen, aber so wie der darüber dachte, selbstgefällig, ohne jeden Zweifel und Neugier, vergeudete Zeit nur, Sätze ohne Bedeutung. Dann lieber alleine sitzen bleiben, inmitten dieser sich füllenden Bar. Feierabend. Hier wurde 9 Stunden gearbeitet, ich bin seit 18 unterwegs. Auch Arbeit, das reisen. Die Musik vom Computer, Jukeboxen gibt es im Silicon-Valley wohl schon lange nicht mehr. High-Tech eben, Firlefanz. Wie dieser Cocktail. Blutleeres Gesäusel aus Ambient-Surround-Multichannel-Boxen. Einen Whisky will ich. Ohne Eis. Und Musik, richtige Musik. Pur. „How are you doing?“ Diese Frau neben mir. Plötzlich. Blond. Lange Haare. Lange Beine, die sich um den Barhocker schlingen, als wären sie dort zu hause. Rosa T-Shirt, eine Kleidergröße zu eng. Lila Buchstaben, aufgenäht. „GODESS“. Das D liegt im Schatten ihrer Brüste. Weiche Stimme, die zu ihrem Mund passt. Schlanke Finger, Naegel, im gleichen Look. Ihr Blick hat nichts von Papst. „Trinken Sie einen Whisky mit mir?“ „Oh. Vielen Dank. Nein. Danke. Lieber einen Cocktail“ „Nehmen Sie doch den hier, der ist frisch und nicht berührt worden, seit der Barmann ihn hier abgestellt hat. Begrüßungsdrink“ „Ja, ich weiß“ Der Computer spielt Elektropop. Die Sicht ist trotz des Rauchs klar, geruchsneutral. Kunstluft. Aircondition. Sie lächelt. Amerikanisch. „Sie sind nicht von hier“ Nein, ich bin ganz und gar nicht von hier. Zum Glück. Ob ich jetzt lieber weg als bleiben will? Keine Ahnung, ist im Moment ohnehin egal, wo ich bin, selbst wer ich bin, spielt kaum eine Rolle. Scheiß Firma. Scheiß Chef, Scheiß Globalisierung. Wenigstens mal weg aus dem Büro. Dienstreise. Oder doch eher Flucht? „Nur auf Durchreise.“ „So? Was machen Sie denn?“ Gleichgültig, welcher Film im Büro gespielt wird, es ist auf jeden Fall der Falsche. Mein Whisky kommt. Jetzt ist es besser. Casablanca feeling. Spiel es noch mal, Sam. Ich hätte es anders gemacht als Humphrey Bogart damals. Ich hätte ihn sein Lied spielen lassen. „As time goes by“. Wieder und wieder, das war Musik. „Kleine Tournee hier in der Bay-Area“ „Echt?“ „Wir sind ne Band aus Belgien“ „Und was spielt Band?“ „Jazz, mit viel Saxophon. Wussten Sie, dass das Saxophon die Erfindung eines Belgiers ist?“ „Nein“ „Adolphe Sax. Mein Großvater“ „Wow“ „Ja. Wir spielen mit seinen handgefertigten Instrumenten. Sind mehr wert als eine Stradivari“ „Cool“ „Letzte Woche in Los Angeles eine Platte ausgenommen. Musik zu einem Film“ „Was denn?“ „Liebesgeschichte der Nachkriegszeit, in der Jazz eine Rolle spielt. Film von Almodóvar. Die Band ist sogar ein paar mal zu sehen.“ „Wo denn?“ „Gefilmt in Paris und Berlin.“ „Ich war noch nie in Paris. Wann kommt er den raus, der Film?“ „Keine Ahnung, in einem halben Jahr vielleicht“ „So lange bist Du noch hier?“ „Nein, nur noch ein paar Tage, dann geht es zurück“ „Schade eigentlich“ „Naja“ „Was machst Du morgen?“ „Konzert in Monterey“ „Aufgeregt?“ „Klar, jedes Mal. Aber es legt sich dann schnell“ „Ist sicher spannend“ „Total. Ich liebe Musik, brauche das irgendwie.“ „Es gibt einen Jazzclub nicht weit von hier“ „Ja?“ „War aber noch nie drinn.“ „Ich auch nicht. Ob die dort auch Whisky haben?“ „Bestimmt!“ „Trinkst Du dann einen mit mir mit?“ „Ja“ „Ich dachte, Du magst Cocktails?“ „Die kenne ich alle schon, Whisky noch nicht“ „Und GODESS hat keine Angst vor dem Unbekannten?“ „Wer weiß?“


 

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