sturmfisch
 
Donnerstag, 21. November 2002

was aus mir kommt

Den Regen gebogen



Warum fällt es mir schwerer, einen Bericht vom Grönemeyer Konzert in Köln als zum Beispiel dem Morcheeba-Auftritt hier vor ein paar Tagen zu schreiben? Warum denke ich immer wieder an diesen Auftritt? - Weil die Begegnung mit Grönemeyer mehr als ein Konzert war, mehr als das Beobachten eines feinen Bühnenauftritts, das Lauschen angenehmer Musik und Reflektieren über lyrischer Aphorismen. Weil es ein emotionales Ereignis war, und das nicht nur für die 15 Tausend “Zuschauer” in der Köln-Arena, sondern auch für Grönemeyer selbst.

derWEG

Unsere Tickets habe ich vor fünf Monaten gekauft, hätte auch nicht länger warten dürfen, da alle Konzerte sehr schnell ausverkauft waren. Freunde haben sich kurzfristig angeschlossen. Wir sind am Freitag also zu viert die knappen 200km bis Köln gefahren und haben einige Grönemeyer-CDs zur Einstimmung gehört während wir in die Abenddämmerung hereinfahren. Bei „Der Weg“, obwohl schon oft gehört, bekomme ich immer noch eine Gänsehaut, auch bei 130 auf der Autobahn, bei Mambo singen wir alle lauthals mit. Vorfreude.

Katrin und Klaus haben Karten für den Innenraum, Bea und ich sitzen (!) auf dem Rang links von der Bühne. Sehen kann man von da recht ordentlich, nur hat die Akustik leider Mittelwellencharakter, da sie eben nicht für schräg oben, sonder auf den Innenraum ausgerichtet ist. Ein altes und bekanntes Problem in Hallen dieser Art. Kenne das von der Frankfurter Festhalle und habe dort nur eine einzige Gruppe erlebt, Genesis 1979, die mit ihrem Megasoundequipment selbst die Rundungen der Halle im oberen Bereich mit glasklarem Sound versorgt haben. Leider eine tontechnische Ausnahmeerscheinung, auch in der ganz neuen, modernen Köln-Arena.

Da Herbert, wenn er spricht statt singt, einen Hang zum Nuscheln hat, war außerhalb des Klangzentrums fast nicht zu verstehen, was er zwischen seinen Titeln, eine gesunde Mischung von alt und neu, von Party und Besinnung, zu erzählen hatte. Das bewegte Licharrangement seines Auftrittes, das Wechseln von schwarzen zu weisem Hintergrund mit Videoprojektion in trendigen Sets, war gut konzipiert und professionell umgesetzt, mit Elementen, die in dieser Form neu auf der Bühne waren und eher aus der britischen Designszene zu kommen schienen. Würde mich nicht wundern, da Grönemeyer mit seinen zwei Kindern seit dem tragischen Tod seiner Frau vor vier Jahren in London lebt und das Album „Mensch“ auch dort aufgenommen hat.

Soweit die sachliche Beschreibung. Die mangelnde Akustik an meinem Platz wird mit der DVD, die an diesem Abend life mitgeschnitten wurde und nach Veröffentlichung ihren Weg in mein Regal sehr schnell finden wird, ausgeglichen. Alles Verziehen. Denn dieser Abend hatte mehr in sich, mehr als Misik und Show. Die Stimmung war ausgesprochen gut, bei den schnelleren Titeln wurde getanzt und mitgesungen. Herbert denkt durch seine Musik, und lässt uns an seinen Gedanken teilhaben. Bei „Ich dreh mich um Dich“ oder „Der Weg“ wurde geschmust oder sogar geweint. Die Unbekannte zwei Stühle weiter war sichtlich bewegt, wie wohl die meisten anderen auch auf ihre Art. Dieses Gefühl von „das kenn ich auch“ war deutlich zu spüren und hat auch Grönemeyer erreicht. Die Grossleinwandprojektion hat seine bewegte Reaktion gezeigt, als er sich über seine eigenen Worte, Erinnerungen wieder einmal klar wird („ich glaube, dass das Unterbewusstsein weiter vorausschaut als der Kopf“) und Gefühle anspült werden, die von weit aus der Seele kommen. Wir sehen den Mensch Herbert Grönemeyer. Nicht den Sänger, Komponisten, Schauspieler. Sondern schlicht ein Mensch, wie alle anderen im Raum auch, verletzlich und schwach. Und in dieser Verletzbarkeit treffen sich Zuschauer und Künstler. Wir fühlen uns in diesem Moment verbunden. Diese Verbundenheit hat für Herbert ja auch vielleicht ein Stück Erleichterung bedeutet: geteiltes Leid, oder zumindest Sympathie, machen das Weitergehen einfacher. Er scheint sich nach „Der Weg“ aus seiner professionellen Rolle zu lösen, wird lockerer, hat seinen Schmerz gebeichtet. Und kann sich nun freier bewegen und unbefangener der Musik hingeben. Wie als Zeichen spielt er nach dem trauernden Liebeslied an Anna den Titelsong des neuen Albums „Mensch“, will uns aufzeigen dass es trotz des Leids weiter geht: oh, es ist schon ok es tut gleichmäßig weh es ist sonnenzeit ohne plan, ohne geleit

und der mensch heißt mensch weil er erinnert, weil er kämpft und weil er hofft und liebt weil er mitfühlt und vergibt

und weil er lacht, und weil er lebt, du fehlst

Interessant finde ich, dass er sein neues Album „Mensch“ nennt. Wie viele Menschen suchen oft nach Tragödien jeglicher Art Antworten im Religiösen, rufen und besinnen sich auf einen Gott, oder hadern mit ihm? Grönemeyer macht es anders, er schreit nicht „Gott“, sondern besinnt sich auf das, was wir nun einmal alle sind, jeder ein „Mensch“ eben.

Herbert und seine Musiker müssen noch drei Mal hinter der Bühne hervorkommen, fast eine Stunde lang Zugaben spielen, bis er sich mit einem großen „Dankeschön“ verabschiedet, das Licht in der Arena angeht und man sich wieder auf sich selbst besinnt. ooh, es tropft ins herz mein kopf unmöbliert und hohl ooh, keine blumen im fenster der fernseher ohne bild und ton fühl mich unbewohnt Wir treffen uns mit unseren Freunden wieder, sind angeruehrt, begeistert, voller Energie und besprechen das Erlebte miteinander. Fuer uns alle war dieser Abend das Konzertereignis des Jahres, wenn nicht sogar der letzten Jahre. Schade nur, dass alle Konzerte bis Tourneeende im Sommer 2003 ausverkauft sind.

Im Fernsehen: 01.12.2002 00:05 - 01:05 ARD Herbert Grönemeyer - on Tour 03.12.2002 23:05 - 24:00 ARTE Music Planet - Herbert Grönemeyer

In Netz

Fanpage www.herbert-groenemeyer.de www.groenemeyerfanpage.de

Interview: Groenemeyer zum Thema 'Liebe' Live Audio Interviews Wetten-Das backstage Interview


 

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