sturmfisch
 
Dienstag, 12. November 2002

Was Fische ohne Sturm lesen

Glück, Liebe, Bücher und Rom



Wie ist das eigentlich? Welche Bücher suchen wir uns aus, wenn wir gierig sind zu lesen? Vielleicht in einer kleinen hell erleuchteten Bahnhofsbuchhandlung stehen, dürstend nach Worten und Geschichten, um die lange Fahrt im Intercity zu verkürzen und erträglicher zu machen? Welches Buch werden wir greifen? Entscheidungen auf die Schnelle, weil der Fahrplan auf Zögern keine Rücksicht nimmt? Oder wählt das Buch vielleicht uns aus?

Mich hat am letzten Freitag Leo Kaplan von Leon de Winter ausgewählt, bei einem Zwischenstop von Brüssel nach Hamburg – und zwar im Aachener Hauptbahnhof. Das Buch musste nicht lange schmeicheln und mich verführen, seine Geheimnisse und innere Schönheit hat sich mir vom ersten Augenblick an erschlossen. Liebe auf den ersten Blick? Warum wohl? Der Blick auf das Cover und schnelle Blättern der Seiten kann das sicher nicht bewirken. Oder waren es bestimmt Worte, Zusammenhänge, Kombinationen, die mich vermuten ließen, dass da mehr als ein Quicky, ein schnelles Lesevergnügen, drin ist, dass die Suche der Hauptperson meinem eigenen Weg ähnlich ist?

„Aber trotzdem suchte er immer noch genauso dringlich nach dem Ausrufezeichen hinter seiner Sehnsucht“

Leo verliert den Boden unter seinen Füßen, seine berufliche Kompetenz und zweite Frau, als er seine erste große Liebe zufällig im Ausland wiedersieht, nachdem er sie vor 19 Jahren Hals über Kopf verlassen, ihre gemeinsame Glasglocke des Glücks zertrümmert hat. Er erkennt, dass seine Ehen, seine Schriftstellerei, amourösen Abenteuer und Gedanken nur Zeichen auf der Suche nach dem Zustand vollkommener Geborgenheit und seinen Wurzeln sind. Er begegnet Ellen wieder, und nach einigen Kommunkationsdesastern finden sie einen Nachmittag in Rom, um Gefühle offen zu zeigen. Eine meisterhafte Szene, voll von großen Wahrheiten und kleinen Momenten des Verstehens. Dennoch muss Leo erkennen, dass es keinen Rückweg ins Paradies gibt, er den Frieden nicht durch andere sondern nur mit sich selbst schließen kann.

Ein wirklich schönes Buch, dass große Fragen aufzeigt und wie im wahren Leben keine richtig klaren Antworten anbietet. Bis vielleicht auf den Hinweis, eben den Weg zu gehen, den man gehen muss.

De Winter hat dieses Jahr den Welt-Literaturpreis gewonnen. Die Laudatio ist hier nachzulesen.


 

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